Tango und Umweltkrisen im 21. Jahrhundert

Die Themen und Inspirationsquellen des aktuellen Tangos sind der Spiegel und das Resultat unserer Erfahrungen mit der Umwelt, in der wir leben und den Dingen, die uns jeden Tag beschäftigen. Die Umweltkrisen des 21.Jahrhunderts haben den zeitgenössischen Tango nicht unberührt gelassen.

Der Zugang zu und die Kontrolle natürlicher Ressourcen sowie die Sichtbarkeit in den Medien hat sich in diesem Jahrhundert verstärkt: Bergbau, Fischerei, Wasser- und Grundverbrauch waren schon immer konfliktbeladen gewesen. Die bewusste Zerstörung von Dörfern und Kulturgemeinschaften, die traditionelle Modelle und alternatives und nachhaltiges Wirtschaften bevorzugten, wird weiter fortbetrieben. Die Lebensformen und Böden werden zerstört im Namen der Industrialisierung. All diese Dinge treiben den Klimawandel voran.

Der Tango als Ausdrucksform führt kein Dasein im Elfenbeinturm. Es gibt Komponisten und Texter, die sich damit befassen und alle Alarmglocken haben läuten lassen. Mit ihren Werken wollen sie ihren Standpunkt klarmachen und das Bewusstsein schärfen.

Das aktuelle auf Wachstum aufbauende Werte- und Wirtschaftssystem ist schädlich. Die Gesellschaft muss mit dem Ziel der Nachhaltigkeit wirtschaften und neue universelle Standards der Hinlänglichkeit und Wohlfahrt setzen, die nicht auf dem Raubbau und der Zerstörung unseres Ökosystems beruhen. Wir können an dieser Stelle drei Künstler des Tango Siglo XXI präsentieren, die unterschiedliche Sichtweisen auf die Umweltproblematik aufgenommen haben.

La Martino Orquesta Típica

Nehuén Martino, Pianist und Komponist der La Martino Orquesta Típica hat auf seiner ersten Platte im Jahr 2016 ein Photo aus dem Jahr 2015 platziert. Es zeigt die Reste eines abgebrannten Waldes, der Teil der bewusst gelegten Brände in Patagonien ist, denen 80.000 Hektar Urwald zum Opfer fielen.

Nehuén hat diese Brände persönlich miterlebt. Seine Eltern und Geschwister leben in der besagten Gegend. Die Brandlegungen haben nicht aufgehört, z.B. Bebauungsinteressen in der Region, werden von den örtlichen politischen Kräften mitgetragen. Im März 2021 kamen von den örtlichen Bewohnern nicht gewünschte Großprojekte des Bergbaus in den Provinzen Chubut, Río Negro und Mendoza hinzu. Sein Tango „Aflicciònes“ (= Kummer, Betrübtheit) setzt dieses Thema als musikalische Dichtung um und gehört zu den Stücken, die Nehuén Martino besonders am Herzen liegen.

Agustin Guerrero -„Estupidez“

Agustìn Guerrero beschränkt sich in seinem 2019 erschienen konzeptionellen Werk “Estupidez” (= Dummheit, Idiotie) nicht nur auf Probleme und Überlegungen zu den Themen Information und Kommunikation. Das Werk besteht aus 15 Stücken.
Agustin Guerrero sagt über das Stück “Monocultivo” (Monokultur – agrartechnisch): “Zum Beispiel die Monokultur. Ich bereite sie nicht zu, aber ich haben schon Sojaschnitzel verzehrt. Die Monokultur macht keinen Sinn. Nur damit eine Gruppe Leute sich die Taschen mit Geld füllen können, wird der Boden ruiniert; um ein genverändertes Nahrungsmittel herzustellen, das noch nicht mal dazu taugt, die hungernde Bevölkerung zu sättigen, sondern als Schweinefutter nach China exportiert wird. Als ich begann darüber nachzudenken, fand ich: welch Idiotie, daß es so etwas gibt! Nun, was kann musikalisch daraus folgen? Ich begann mit dem Wort Monokultur zu spielen, das eins bedeutet, ich habe eine monophone Arbeit erstellt, einen Klang, den ich orchestriert habe, mit einem Teil B, der für etwas wie ein Ritual, etwas aus der Vergangenheit und einer anderen Annäherung des Menschen an die Erde steht.“ (Quelle: „Página/12“ (18/07/19) Artikel von Andrés Valenzuela).

TAXXI  Tango XXI- “Alimentation Générale”

TAXXI TANGO XXI  ist eine französisch-argentinische Gruppe, die in Paris lebt. Ihr zweites Studio-Album “Alimentation Générale” (= Allgemeine Ernährung) aus dem Jahr 2020 enthält sechs Tangos, die kritisch Probleme der Ernährung behandeln wie u.a. die Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln, gesunde Ernährung, Junk-food und das Steuern des Hungers seitens der Mächtigen.

Beispielhaft hier der Text des Stückes „Big Mec“

Big Mec

…Wenn ich schlafe,

träume ich von Wiesen und Blumen

Froher Gesang der Vögel

streichelt meine Ohren

Und benetzt meine Lieben

Es erhebt sich

mein Leben, während ich dem Wind zulächle,

ohne blaß vor Spiegeln zu posieren,

ohne Messer und ohne Angst,

reines Leben im Augenblick

Und wache auf in diesem Zementdschungel

während Maschinen meine Ruhe stören

und sich nach und nach in mein Hirn bohren,

und heimsuchen Luft, Fleisch, Blut, Liebe und Zeit

Wenn ich träume,

teile ich den Schmaus mit Freunden,

die Lust der Zusammenkunft macht Mut,

veredelt die Freuden,

entschädigt für alle Mühen

Mein Bewusstsein

tollt in Überlegungen und Freuden,

die die Kälte und Einsamkeit meiden

Wie ein Kind sein Spielzeug teilt

und versteht

Beklemmende Gedanken wecken mich

und die Maschinen stören die Ruhe

und verdunkeln ganz langsam mein Gehirn,

zerstören Seele, Leben, Frieden in Bewegung

Big Mac!

Doppelte Portion Fritten!

Big Mac!

Salat, Tomate, Zwiebeln, Big Mac

Willst Du die weiße Sauce?

Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein!

Harissa! Harissa! Harissa!

Big Mac!

Doppelte Portion Fritten,

Big Mac!

Salat, Tomate, Zwiebeln und Fernet!

Willst Du die weiße Sauce?

Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein!

Harissa! Harissa! Harissa!

Der Tango ist ein weiterer künstlerischer Ausdruck, der es den HörerInnen ermöglicht, unterschiedliche Problematiken wahrzunehmen, zu erfühlen und darüber nachzudenken. Heute, im Jahr 2021 ist er nah an den Dingen, die uns heute umgeben. Die Werke laden uns ein in einen Diskurs, an dem wir teilnehmen und in dem wir agieren sollen.

Übertragung: Dr. Stela Popescu-Böttger
Der Originaltext findet sich hier: https://tango21.info/tango-medio-ambiente/?lang=es

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