„Ich tanzte die ganze Nacht durch, und mein Kopf platzte…, ich dachte: ‚Mensch, da muss ich mehr und mehr eintauchen‘“, erinnert Natalia Fures. Viele Jahre sind vergangen seit jener Nacht, als sie 19-jährig sich dazu entschloss, den Tanz – ganz konkret den Tango – zu ihrem Lebensweg zu machen. Heute ist sie, mit etwas mehr als dreißig Jahren, eine Arbeitsmaschine geworden: Gruppenunterricht, Einzelunterricht, Events, Performance-Vorstellungen als DJ Furia, bis hin zur Organisation von Fiestas und Milongas. Ihre intensiven Aktivitäten bringen sie zwischen September und Dezember nach Europa, unter anderem auch nach Deutschland.
Obgleich ihre ersten Errungenschaften in der Welt des Tangos sich eher auf der traditionellen Ebene abspielten – „tradi“ nennt sie es – so hat sie doch im Laufe der Jahre viele andere Disziplinen einbezogen; dazu zählen z.B. die Alexander-Technik, mit Ana Frenkel, und der Kontakt-Tango. Im musikalischen Bereich hat sie sich dem zeitgenössischen Tango angenähert, sowohl in ihrer Lehrtätigkeit als auch als DJane, wo sie inzwischen eigene Veranstaltungen hat. Gleichermaßen suchte sie den Anschluss zu anderen Frauen: Julieta Falivene, ihre Freundin und Teilhaberin an der Milonga La Bicicleta und neuerdings auch Anahí Carballo – die bekannte Leiterin der Compagnie Tango entre mujeres, was so viel wie ‚Tango unter Frauen‘ bedeutet. Mit Anahí Carballo nahm sie an der Tango-Weltmeisterschaft 2023 in Buenos Aires teil. Sie erreichten als Frauenpaar immerhin das Semifinale.
Wie kam es, daß der Tango des 21.Jahrhunderts Deinen Weg kreuzte?
Das kam über den Feminismus. Infolge der feministischen Bewegung Ni Una Menos in Argentinien – was so viel heißt wie ‚Nicht eine weniger‘ – entstand die feministische Tango-Bewegung. Als wir unsere Veranstaltungen organisierten, fingen wir an über die Tangolyrik zu diskutieren, die nicht für uns steht; wir begannen uns zu fragen, was passiert mit der Stimme der Frau in diesem Kontext, wo ist sie, und warum hören wir sie nicht auf den Milongas? Wir fühlten uns nicht vertreten, unsere Klagen und unsere Geschichte kam darin nicht vor. Dann begann ich Alternativen zu der Musik zu suchen, die ich nun seit vielen Jahren gehört hatte. Ich fühlte, dass es notwendig war, dem Tango neues Leben zu geben. Ich liebe die klassischen Orchester, Pugliese und Troilo, es gibt jedoch auch viel Neues und Menschen, die heute viel für den Tango geleistet haben und das Genre ausweiten und weiterentwickeln, nicht wahr? Für mich ist es eher eine politische Verantwortung, mich für die zeitgenössische Musik und die Stimmen der Frauen einzusetzen.
«Für mich ist es eher eine politische Verantwortung, mich für die zeitgenössische Musik und die Stimmen der Frauen einzusetzen.»
— Natalia Fures
Du erwähnst die MFT – die feministische Frauenbewegung in Argentinien – und hattest vor deren Erscheinung bereits Räume für und mit anderen Frauen geschaffen: La Bicicleta mit Julieta Falivene. Wie kam es dazu?
Das mit “Juli” und der Bicicleta hatte mit den Unwägbarkeiten unseres Lebens zu tun, und nicht, daß ich eines Morgens aufgewacht wäre und gesagt hätte „ich möchte Veranstaltungen mit einer Frau organisieren“. Es geschah aufgrund der vielen Hemmnisse, die ich vorfand, um weiter mit dem Tango arbeiten zu können und mich dabei wohlzufühlen. Tatsächlich waren wir bei der Bicicleta ursprünglich zwei Frauen und ein junger Mann. Viele der Probleme, die mit der dritten Person auftauchten, hatten mit der Art seiner Männlichkeit zu tun. Wir Frauen haben uns da zusammengeschlossen, und er ist draußen geblieben. Es war jedoch auch eine Überlebensfrage, daß wir notwendigerweise weiterarbeiten mussten. Wir erkannten, daß wir tatsächlich von dieser Arbeit leben konnten und fühlten uns mit dieser Form der Zusammenarbeit viel wohler. Dann kam die Ni Una Menos-Bewegung auf, und plötzlich hatten all unsere Tätigkeiten einen Sinn. Wir waren nicht mehr die zwei Bekloppten mit dem lächerlichen Plan.
Wie kam es zu der Teambildung mit Anahí Carballo?
Ich hatte mehrere Tanzpartner, und das hatte nicht funktioniert. Es war nicht leicht; erst seit der Ni Una Menos-Bewegung wurde es einfacher, sich dessen bewusst zu werden und sich herauszulavieren aus Situationen, die wir als Frauen erleiden müssen, und auf die ich keine Lust hatte. Seit vielen Jahren schon fühle ich mich einfach sehr viel bequemer bei der Arbeit mit Frauen. Es könnte auch ein Mann sein, aber der müsste die Realität verstehen und sie auch aus weiblicher Sicht wahrnehmen können, aus transfeministischer Optik, geschlechtsunspezifischer Optik oder wie Du es nennen willst. Heute fühle ich mich dazu bereit, das Projekt einer Partnerschaft anzugehen, was vorher nicht funktionierte, denn auch mit „Juli“ erarbeiteten wir nur die Unterrichtsstunden und die Verwaltung gemeinsam, nicht jedoch den Tanz.
In Deiner Rolle als DJane bietest Du mash-ups und neue Tangos an. Welche Erfahrungen hast Du gemacht?
Durchzumischen was gesungen wird, ist noch ein Schritt weiter. Ich bin hochmotiviert bei diesem Projekt, es befindet sich jedoch noch in den Babyschuhen.
Du hast dies jedoch auf dem Electrotango-Festival in Buenos Aires präsentiert, wo sie Dich auftreten ließen!
Jaja, das ist wirklich ganz neu, aber ich fühle, daß es Möglichkeiten zum Auflegen und Herumexperimentieren bietet und dabei eine aktiv kreative Rolle einzunehmen. Beim Auflegen von Tangos wird für gewöhnlich eine Playlist erstellt, nicht wahr? Auflegen, mischen, die Nacht als Kontinuität denken, ohne cuts, ein Thema oder auch Text in das andere fließen lassen…
Warum hast Du so viel Interesse an der Lyrik, spricht sie auch in Deinen mash-ups?
Texte sind meine Obsession! Ich liebe es, mit Texten zu arbeiten; wenn ich tanze, möchte ich immer einen Text dazu hören; wenn ich etwas tue, möchte ich das Wort dabei haben, weil viele Dinge davon ausgehen, die sich anders nur schwer vermitteln ließen.
Ich kehre zu Deiner Kreativität als DJane zurück: sie steht im Kontrast zu jener Auffassung von DJs und -Janes – auch von Milonga-VeranstalterInnen, Milongueros und Milongueras – daß aufgelegt werden sollte, was das Publikum gerne hören will. Manche verstehen DJs und -Janes als Angestellte.
Ich kann mich nicht als Angestellte fühlen. Es langweilt mich und trocknet mein Herz aus. Das sehe ich nicht nur beim Tango so. Du gehst irgendwohin, um Cachengue-Musik zu tanzen und merkst sofort, wenn ein DJ sich an dem Geschmack der Massen orientiert, an dem, was kürzlich im Radio oder auf Spotifiy zu hören war, oder wenn er ein anderes Angebot fährt. Ich möchte mich nicht nur nach den Leuten richten müssen, tatsächlich habe ich das auch im Hinterkopf, aber es läuft durch meinen Filter. Es muss mich auch bewegen. Ich brauche einen bestimmten Auftritt, nicht nur als DJane der Veranstaltung, sondern verbunden mit einem künstlerisch-kreativen Anspruch, einer Botschaft, einem Inhalt. Das erfüllt mich. Ich fühle, daß es an vielen Standorten auch als künstlerischer Vorschlag verstanden wird.