La Fierro schlägt ein

Presentacion de la Orquesta Tipica Fernandez Fierro en el CAFF, el Sabado 31 de Julio de 2010.

Ohne Fernández Fierro ist der Tango von heute nicht zu verstehen. Das Orquesta Típica Fernández Fierro, oder einfach La Fierro, brach 2001 in die Szenerie des neuen Tango ein und veränderte alles.

Um das Jahr 2001 herum hatten neue, junge Bands bereits den Tango wieder aus seinem Grabe gehoben: das Orquesta El Arranque oder die Gruppe La Chicana, Komponisten wie „Tape“ Rubín und Singstimmen wie jene von Lidia Borda oder Ariel Ardit erhielten viel Aufmerksamkeit. La Fierro hat jedoch alle wachgerüttelt, die es noch nicht gemerkt hatten: eine genossenschaftlich organisierte Musikergruppe hat mit dem typischen marcato von Pugliese unüberhörbar und „militant“ gespielt – wie sich die ersten Mitglieder selbst erinnern – auf der Straße, auf einer Milonga, in Bars oder wo immer sie durften.

Marta del Pino nennt sie „Die Fans der Ramones und von Pugliese“. Die ehemalige Pressesprecherin der Band – von der Gruppe „la tía“ genannt (die Tante, Anm.d.Üs.) – erinnert sich: „Da war eine merkwürdige Mischung aus Freundschaft und Professionalität, Spaß und Mut, Fiesta und harter Arbeit, Aufmüpfigkeit und Disziplin eines zwölfköpfigen Orchesters, das eine Autoreparaturwerkstatt gemietet und diese zu einem eigenen Konzertsaal umgebaut hat.“

Zum Einfluß des Yumba (rhythmisches Muster von Pugliese, Anm.d.Üs.) gesellte sich der Punk Rock. Die Interpretationen waren kurz und potent mit dementsprechend prägnanter Ästhetik. Bereits die erste CD „Envasado en origen“ („Abgefüllt am Ursprungsort“, Anm.d.Üs.) enthält Anklänge an den heutigen Sound – markant vom Rock, von Verzerrungen geprägt und einer sehr fein herausgearbeiteten eigenen Ästhetik.

Ignacio Varchausky ist Kontrabass bei der Gruppe El Arranque, Rundfunksprecher und künstlerischer Leiter der Orchesterschule Emilio Balcarce. Er erklärt anerkennend, daß la Fierro „das letzte Orchester ist, das einen ureigenen Sound geprägt hat“. Diese Anmerkung ist von besonderer Bedeutung, da in jenen ersten Jahren eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Orchestern herrschte.

Interessanterweise findet Julián Peralta – heute Pianist der Gruppe Astillero und Ex-Pianist und Arrangeur des Orchesters Fernández Fierro – daß diese ersten Jahre des Orchesters mehr „ein soziologisches als ein musikalisches Phänomen“ darstellten. Er stellt genüsslich heraus, daß er mit seiner Truppe einfach ‚losgemacht‘ und gespielt hat. „Wir haben nicht darauf gewartet ein Agri (virtuoser Tangogeiger, Anm.d.Üs.) zu werden, um auf die Bühne zu steigen, wir sind mit dem gekommen, was wir hatten“, fügt sein Ex-Mitstreiter und Bandoneonist Julio Coviello hinzu – zu einer Zeit wo Erfahrung und Ressourcen noch in der Entstehung waren.

Peralta erklärt, daß es sich um festes Projekt gehandelt habe und regelmäßige Proben daher erlaubten, den eigenen Sound zu fixieren und stetig dazuzulernen. Tatsächlich habe seine Zeit bei La Fierro die Entwicklung jenes Handwerkzeugs ermöglicht, daß ihn heute noch beim Komponieren begleite. „Die Tatsache, daß das Orchester jede Woche auftrat, schaffte viele Mitstreiter und die Gesellschaft insgesamt sah bereits die Wiedergeburt des Tangos – etwas das bereits in der Luft lag, mit den Orchesterauftritten jedoch erfahrbar wurde“, erinnert sich Peralta, „und so bildeten sich einige Orchester heraus, die erkannten, was da möglich war. Wir waren schließlich keine Außerirdischen!“

Foto:  2002 © Rob Nuijten

Vito Venturino, Gitarrist und Gründer des weltweit bekannten Quinteto Cachivache bestätigt diesen Einfluss: „Das erste Mal als ich la Fierro gehört habe – das war 2003 – da flog mir die Perücke weg; das ist Allen unserer Generation passiert: den Tango so zu sehen, so aktualisiert, daß war ein sich Wiederfinden.“ Obwohl er heute klar erkennt, daß weder sein Sound noch der von Cachivache nah bei la Fierro zu verorten sind, so sieht er doch die Bedeutung. Es bleibt unverkennbar: die Ästhetik des Vortrags beider Bands haben Einiges gemeinsam.

Venturino ist kein Einzelfall. Der Einfluss der la Fierro verzweigt sich bis in die Gegenwart. Einerseits sind die Musiker, die früher Teil des Orchesters waren, durch diese Erfahrung in unvermeidlicher Weise geprägt worden. Außer Peralta, einer der angesehensten Komponisten und Dozenten der Gegenwart, können unter anderen noch Julio Coviello der Band Cañón, Federico Terranova vom Orquesta Los Crayones, Tripa Bonfiglio von Rascasuelos, Bruno Giuntini von Derrotas Cadenas und Pablo Gignoli von Taxxi Tango XXI erwähnt werden. Julio Coviello sagt: „Teile dieser Eigenart (der Musik, Anm.d.Üs.) sind in uns.“ Es ist auffällig, daß viele dieser Orchester Milongas organisieren, wie Cañón, Derrotas Cadenas oder dort auftreten, wie Los Crayones, die alternative Splitterversion von Rascasuelos, namens Rascacielos („Bodenkratzer“ bzw. „Wolkenkratzer“, Anm.d.Üs.). Mehr noch: La Fierro hat die Entscheidung getroffen, auf Milongas nicht mehr aufzutreten. Die ehemaligen Musiker jedoch halten diesen Geist aufrecht.

“Wenn gesagt wird, daß die Angebote der la Fierro unumgänglich sind, dann gilt dies, weil Du entweder dem Beispiel folgst oder zu den Gegensätzen umlenkst. Viele Bands, die nicht Teil dieser Familie sind, verstehen sie als Referenz auf der nach Suche nach ihrem Weg und lassen Gruppen entstehen, deren Musik z.B. heller oder fröhlicher ist“, überlegt Coviello und sagt abschließend: „Vielleicht hat la Fierro einen Weg markiert, der eine Generation zusammenfasst, sie hat sich eine Musik angeeignet und sie gegenwärtig gemacht.“

(Übersetzung von Stela Popescu-Böttger)

7 Kommentare

  1. […] Wenn der Dichter Héctor Blomberg 1930 exklusiv für Ignacio Corsini schrieb und Le Pera für Carlos Gardel, so haben Diego Baiardi und der Komponist Lisandro Silva Echeverría eine Platte für die Stimme von Laso erträumt, maßgeschneidert für die Ex-Sängerin von der Orquesta Típica Fernández Fierro. […]

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Die mobile Version verlassen