Und der Zweck der Liebe?

„Die einzige Musik, die wir auf Tourneen hören, sind die Plattensammlungen von Alejandro Sanz”, gibt Mariana Mazú zu, halb im Rechtfertigungston. So fasst sie etwa ihre gerade erschienene Platte zusammen und schildert dann ihre nächste Tourneeroute, die sie nach Frankreich, Italien, der Schweiz, Österreich, Schweden und Belgien bringen wird. Die Sängerin gewann den Gardel-Preis mit ihrer ersten Platte und hat vor kurzem in Buenos Aires ihre zweite Platte herausgebracht mit dem Covertitel ¿Y el fin del amor? (Und? Ende oder Zweck der Liebe? Anm.d.Üs.). Sie spielt mit dem Wort fin, das im Spanischen sowohl ‚Zweck‘, ‚Ziel‘ als auch ‚Ende‘ bedeutet.

Auf ihrer neuen Platte erscheint just ein Thema von dem – zu Beginn erwähnten – Alejandro Sanz, das mit der Stimme von der Mazú zu einem großartigen Tango mutiert. Eine Seltenheit, denn Sanz wird eigentlich eher mit dem Genre melodiöser romantischer Lieder in Verbindung gebracht. Auf ihrer Platte ¿Y el fin del amor? erweitert Mazú den musikalischen Horizont des Tangos und führt Liedversionen von in Südamerika bekannten Sängern wie Joaquín Sabina, Jorge Drexler und lokalen argentinischen Sängern wie Omar Giammarco oder Max Aguirre ein. Hier erscheint auch die erste Komposition der Sängerin „Desencanto“ („Entzauberung“ Anm.d.Üs.), die in gewisser Weise den Ton der Platte angibt.

Hinter dem gesamten musikalischen Rüstzeug steht Produzent Pelu Romero, der kürzlich famose Platten mit Maggie Cullen, Lidia Borda und nicht zuletzt Martingala mit Julieta Laso aufgenommen hatte – letztere ist übrigens auch auf ¿Y el fin del amor? mit einem Lied präsent. Mariana Mazú wird nicht müde, die Rolle Romeros in ihrer künstlerischen Entwicklung zu preisen: „Das Album hat mich zwei Jahre gekostet, und durch ihn habe ich verstanden, daß diese Kehrseiten der Liebe, die ich in meinen Liedern darzustellen versuche, mit meiner persönlichen ‚Kehrseite‘ zu tun haben; das heißt, die eigenen Schatten oder die weniger lichtvollen Seiten zu zeigen.“ So erzählt sie, daß Pelu sie aus ihrer Komfortzone herausgeholt habe, um das „das Zulächeln und Gefallen wollen einzuschränken und so der Platte Tiefe und andere Farben zu verleihen, da in das Helle auch meine Schatten fallen.“

Die Sängerin stellt klar, daß ohne den Zugang zur Sprache auf dieser Platte – und auch ihrer Live-Shows – es schwierig sei, dem nicht-Spanisch-sprechenden europäischen Publikum diese Tiefe zu vermitteln. Sie löst das Problem in Abschnitten: „Jedes Thema sollte kurz erklärt und ein wenig über das Lied gesagt werden, und das Publikum geht tatsächlich mit, und obwohl sie kein Wort verstehen, schwingen sie in der Stimmung und der Interpretation mit, die jede Sprachbarriere besiegt.

Sie erinnert sich an ihre letzte Tournee durch Norwegen, deren Leute so ganz anders seien als die Argentinier: „Vielleicht zeigen sie es nicht so, aber sie schnäuzen sich oder trocknen eine Träne, und am Ende des Konzerts sagt Dir jemand, daß es das Beste war, was ihm in diesem Jahr passiert wäre – da stockt Dir der Atem!“

Mazú erklärt ihre Platte über die Emotionalität, die sie aus Kindheitserinnerungen, vertrauten Geräuschen oder ihrer Vaterfigur gezogen hätte: „Alle Themen haben miteinander zu tun“, sagt sie, „sie haben eine Kontinuität und ordnen sich der Fragestellung des Plattentitels unter. Ich wollte die Kehrseite der Liebe zeigen, die dunkle, die nicht-rosafarbene Seite, den Teil, der kein Sahnebaiser ist, nicht das Süße…“. Sie führt weiter aus: „Die Vorstellung der Liebe als zuckersüßes Sahnehäubchen ist immer noch sehr präsent; da, wo die Liebe gut und gesund gedeiht, doch sind da diese anderen Seiten, die weder hell noch perfekt sind, weder zugewandt noch bedingungslos dem Anderen gegenüber, weil in den Beziehungen die Persönlichkeiten und Temperamente genauso aufeinanderprallen wie die Lebenswirklichkeiten.“ Mazú ist nicht nur Sängerin, sondern auch Psychologin, was in ihrem Werk durchklingt.

Eines ihrer Lieder, ein zauberhafter Walzer, spricht über das Ende der Liebe, jedoch nicht ohne ein Glimmen der Hoffnung aufleuchten zu lassen. „Es begint mit einer Enttäuschung und was das mit einem macht, und wie daraus ein Motor entstehen kann, der Erneuerung, Lehren, und neue Möglichkeiten der Entwicklung bietet“, führt sie aus und meint: „Ich bin überzeugt, daß die Trauermomente vorübergehen mit der Zeit, und dieses Lied sollte in Erinnerung rufen, daß diese Dinge, denen wir heute so viel Bedeutung zumessen, irgendwann als Anekdote enden, weil wir für etwas Größeres hier sind. Wir sind nicht der Nabel der Welt, sondern Teil von etwas Großem und können bestenfalls etwas Gutes in das Leben Anderer bringen, mit Hilfe der Erfahrungen, die wir selbst sammeln,“ überlegt sie.

“Wenn ich eine wahrheitsstrotzende Person erlebe, dann erfüllt mich das mit ein wenig Angst. Wie? Kein bißchen Zweifel? Natürlich sollten wir nicht alles in Zweifel ziehen, das ist ebenso unerträglich und neurotisch, aber doch eine Frage hinauszuwerfen, die weit und mehrdeutig ist, so wie ‚fin‘ gleichzeitig Zweck und Ende bedeuten kann.“ Mazú unterscheidet Leid und Schmerz, aus dem man lernen kann, mit möglichen und vielen Antworten. „Da ist der Zweck der Liebe und die Liebe selbst“, sagt sie, „und das ist der Zweck unseres Daseins“.

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