Es gibt viel moderne Tangomusik zum Tanzen

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Tanguerilla bei der Arbeit
Tanguerilla bei der Arbeit (Foto: Tanguerilla)

Interview mit Tanguerilla über den neoTango Rave in Bremen

Tango21: Wann und warum hast Du mit dem neoTango Rave begonnen?


Tanguerilla: Bereits seit 2004 habe ich als Tanguerilla viele eintägige Tangoevents im In- und Ausland veranstaltet, in Warschau, Brody, Nijmegen, Wien, Riga, London, Stockholm, Halmstadt, Rom, Mar del Plata, Buenos Aires, Nantes, Turin, Sacramento, Los Angeles, Toulouse, Basel. 2011 beschloss ich das immersive Konzept auf vielfachen Wunsch aus der NeoTango Community  auf ein ganzes Wochenende ausdehnen.

Es war damals das erste neoTango Festival in Europa und Vorbild für mehrere ähnliche Events, die ich in der Folge meist mit initiiert und unterstützt habe.

Ich habe damit angefangen, weil es neue Impulse in der Tangomusik gab, einen neuen Sound, Tangos mit modernen Beats und aktuellen Rhythmen. Für mich fing das schon mit Melingo und seinem Album Tango Bajos 1998 an. Etwa ab 2003 gab es immer mehr Gruppen wie Gotan Project, Bajofondo etc. die eine eigene musikalische Strömung im Tango schufen und eine echte Alternative zum klassischen Tango darstellten. Gespielt wurde diese Musik in den klassischen Milongas jedoch nicht.

Der Mainstream qualifizierte sie als Technotango oder nicht tanzbaren „Tango Under“ ab und gab dieser modernen Tangomusik keine Räume. Hier wollte ich einen Beitrag leisten und habe in verschiedener Form mit den neuen Gruppen und Musikern zusammengearbeit, um ihre Auftrittsmöglichkeiten zu verbessern und diese Musik zu fördern.

Gotan Project arbeitet bereits mit Visuals und ich habe das als ausgebildeter Mediendesigner zu einem zentralen Element meiner Veranstaltungen gemacht, weil es eine künstlerisch innovative und wirkungsmächtige Verbindung zur Musik und zum Tanz ermöglichte.

Tango21: Hat sich das Konzept über die Zeit verändert?

Tanguerilla: Mir war es immer wichtig meinen Events ein innovatives Profil zu geben, Mainstream interessiert mich nicht im Geringsten. Das audio-visuelle Kern-Konzept hat sich nicht wesentlich geändert.

Der neoTango Rave ist und war schon immer eine avantgardistische, anti-elitäre und visionäre Tangoveranstaltung und eine Plattform für innovative Künstler.

Er ist ein solidarisches Event und basiert konzeptionell auf dem kooperativem Orchester-Modell  von Osvaldo Pugliese, das auf (Geschlechter-)Gleichheit, Fürsorge, Innovation, persönlicher Entwicklung, Improvisation, Spaß und dem Recht, Fehler zu machen, basiert.

Obligatorische Rondas und Cabeceos, Tandas & Cortinas haben in diesem Konzept keine Bedeutung.

Mit der Zeit hat die Dimension und Anziehungskraft des Festivals stetig zugenommen, sodass es schließlich Jahr für Jahr in wenigen Minuten ausgebucht ist.

In diesem Jahr habe ich die DJanes erstmals gebeten, in ihrem musikalischen Konzept mindestens 50% zeitgenössischen Tango zu berücksichtigen. Dahinter steht eine Entwicklung im Neotango, der ich etwas entgegensetzen möchte.

Nach dem Niedergang der Neotangoszene in den 2010er Jahren, haben sich die sogenannten Neolongas musikalisch mehr und mehr dem Non-Tango zugewandt, Weltmusik, Pop, interessante Rock- Jazz- und Ambienttitel etc.

Der moderne Tango wird als Musik heutzutage unzureichend von den Neolongas  berücksichtigt, obwohl moderner Tango der Ausgangspunkt für alternative Milongas oder Neolongas war. Das finde ich sehr schade, denn die kreative Basis moderner Tangomusik hat sich verbreitert, sodass der Tango ab etwa 2000 viel musikalisches Matrial für modern orientierte Tangotänzer hergibt.

Das ist offenbar bei vielen Neotango DJs vergessen oder unzureichend bekannt. Der zeitgenössische Tango befindet sich hier in einer sehr undankbaren Position, denn die klassischen Milongas lehnen ihn ab und die Non-Tango dominierten Neolongas haben ihn “vergessen“.

Ich möchte die moderne Tangomusik weiter fördern, wie ich es von Anfang an gemacht habe, und habe deshalb meine eingeladenen DJanes und DJs gebeten, mehr moderne Tangos zu spielen. Es gibt da so viel und reichhaltiges Material, dass Neotango Tänzer sich auch auf Tangomusik von heute bewegen können.

Tango21: Was berührt Dich bei Tangoevents am stärksten?

Tanguerilla: Mich berührt generell am stärksten, wenn Persönlichkeit sichtbar und wirkmächtig wird.

Das geschieht wenn DJanes wagen, sperrige, individuelle, neuartige Tangos aufzulegen und daraus einen tanzbaren Musikteppich zu weben.

Das geschieht, wenn VJanes Phantasien auf die gestaffelten Leinwände zaubern, die Tänzer:innen wie Zuschauende fesseln und sie in Farbwelten entführen.

Das geschieht, wenn Tango-Bands die Luft zum Erzittern bringen und ihre Musik die Improvisationsfähigkeit der Tanzenden herausfordert.

Das geschieht aber vor allem, wenn ich auf eine Tänzerin treffe, die mit mir in unendlichen Spiralen die Schwerkraft überwindet.

Tango21: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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