Bedeutende Orchester des modernen Tangos: El Arranque

1196
El Arranque Tango
Foto: Guadalupe Lombardo

Eine Referenz unter Gleichen – die Gründungsmitglieder des Orquesta Tipica El Arranque werden als Vorbilder für spätere Generationen gehandelt. Ignacio Varchausky, Kontrabassist des Orchesters, denkt über die Entwicklung der Szene nach: „Dies ist der historische Augenblick, der die größte Vielfalt an Vorschlägen, ästhetischer Angebote und Diskurse bietet“.

Schwer vorstellbar, die Situation des Tangos vor 25 Jahren: einige wenige Orchester mit bereits alten Musikern, fast keinen Raum für Auftritte, und ein musikalisches Genre, das sich seit Längerem auf dem Rückzug befand. Ganz anders heute: wir finden eine Vielzahl an Bands vor, die einen großen generationenübergreifenden Austausch pflegen, Material und Erfahrung für jedweden interessierten Musiker in Griffbereitschaft haben und zig neue Aufnahmen und Kompositionen jedes Jahr lancieren.

Zu Beginn dieses Prozesses stand eine Gruppe junger Leute, die 1996 noch nicht einmal 20 Lenze zählte: das Orchester El Arranque. Sie gehörten zu jenen, die die Lunte zündeten und den Tango des 21.Jh. mit begründeten. El Arranque wurde als reine Studien-Band geboren. Ihre ersten Mitglieder waren Camilo Ferrero, Alejandro Schwarz, Leonardo Stefoni, Pablo Carreras und Ignacio Varchausky. Sehr bald stieß Alejandro Guyot für kurze Zeit als Sänger hinzu, später waren es Ariel Ardit, und dann trat oft die Sängerin Lidia Borda mit ihnen auf. Heute singt Juan Villareal im Orchester.

„El Arranque entstand aus der Lust heraus, Tango spielen zu wollen. Wir hörten ihn zwar obsessiv, jedoch hatte keiner von uns wirkliche Erfahrung mit dem traditionellen Tango. Da er uns jedoch brennend interessierte, waren wir ursprünglich nur eine Gruppe, die sich vor allem seinem Studium widmen wollte; wir wollten lernen und verstehen, wir hatten nichts zu sagen“, erinnert sich der Kontrabassist und einflußreiche Mitgründer Varchausky. Eine besondere Eigenheit des Orchesters ist es, ohne Leitung auszukommen. Die ersten Jahre seien von „intensiver Aktivität und wunderbarer Bohème“ geprägt gewesen, fügt er hinzu.

Welttourneen, die zehn Plattenaufnahmen, dies alles war abseits jeder Vorstellung und Planung gewesen – so auch die beiden Gardel-Preise, die beiden Konex-Preise und auch gemeinsame Auftritte mit den ‚Grandes‘ des Genre, wie Leopoldo Federico, Néstor Marconi, Julio Pane und Raúl Garello oder internationalen Stars wie Wynton Marsalis oder Kevin Johansen. Sie entwickelten sich jedoch zu Arrangeuren und Komponisten.

Die Mitglieder von El Arranque fügten ihren Lernprozessen die Lehrtätigkeit hinzu, um den Jüngeren beizubringen, was sie von den alten Meistern gelernt hatten – insbesondere durch das Schulorchester Orquesta Escuela Emilio Balcarce. „Das kam ganz von allein“, erinnert sich Varchausky, „wir mussten die ganze Information, die wir von den Meistern erhielten, sortieren und kodifizieren, um sie wirklich zu verstehen. Mit dieser leidenschaftlichen interpretatorischen Arbeit, entstand gleichzeitig die Notwendigkeit einer pädagogischen Logik, die mit einem wachsenden Interesse seitens neuer Kollegen zusammenlief. Die Stafetten-Übergabe einer neuen Orchestersprache des Tangos wurde zur Mission, und wir versuchten, diese mit der gleichen Liebe zur Sache und Großzügigkeit weiterzugeben, wie wir selbst erhalten hatten“.

Häufig wird El Arranque mit dem Einfluss von Alfredo Gobbi in Zusammenhang gebracht, einer der angesehensten Komponisten der goldenen Ära des Tangos. „Gobbi ist eine Enzyklopädie des Tangos, ein Orchester, das in gewisser Weise für alle Orchester steht“, sagt Varchausky. „Wir identifizieren uns mit ihm, weil wir so obsessiv die Sprache, den Reichtum, die Feinheiten und Varianten verstehen wollen; Gobbi hören gleicht einer väterlichen Vorlesung: hier ist alles, was wir von dem Genre lernen können“, stellt er fest. „Gobbi verfügt über einen monumentalen Informationsfundus, den er auch verwalten konnte, und wir waren wild danach. Gobbi hören vibriert nicht nur in Intellekt, Emotion und Physis, sondern unterbreitet auch unterschiedliche Wege dahin, wie etwas gespielt werden kann.“

2021 hat El Arranque im Tasso seine Hits der letzten 25 Jahre gespielt. Mit Víctor Lavallén, mit dem sie die diesjährig erscheinende Platte Camaradas aufnahmen, feierten sie Kompositionen von Emilio Balcarce und Julián Plaza – zwei Weggefährten von Lavallén, der im Orchester Osvaldo Pugliese und im Sexteto Tango spielte. „Wenn das hier ein Rock-Konzert gewesen wäre, dann wäre das wie mit Jimi Hendrix, Paul McCartney, Jimmy Page und Robert Fripp aufzutreten: ein absoluter Luxus“, schwärmen die Mitglieder der Gruppe.

Im Angesicht des 25-jährigen Jubiläums denkt Varchausky über die Entwicklung der Szene nach: „Persönlich macht es mich sehr glücklich. Ich glaube, das hat mit unserer Arbeit und unserer Durchhaltekraft zu tun“, betont er und fügt hinzu: „Heute wird nicht nur der traditionelle orchestrale Tango sehr gut von den unterschiedlichen Generationen gespielt, sondern dies ist der historische Augenblick mit der größten Vielfalt an Vorschlägen, ästhetischen Angeboten und Diskursen imTango. Heute wird aus fast allen Quellen, sogar nahe an den Ursprüngen des Tangos gespielt. Es ist gleichsam der Moment für das neue Tango-Lied und Entwicklungen gekommen, die neue Musik und andere Diskurse erarbeiten, wie z.B. die Generation des Rock. Die Szene hat sich nicht nur vervielfältigt: sie ist in alle Richtungen explodiert “. El Arranque war und ist Teil dieser Entwicklung.

(Basis: Pagina 12. Übersetzung: Stela Popescu-Böttger)

Über das Orchester El Arranque

1996 wurde das Orchester El Arranque auf Initiative des Kontrabassisten Ignacio Varchausky und dem Bandoneonisten Camilo Ferrero gegründet. Es begann als Quintett, entwickelte sich jedoch sehr schnell zu einem „Orchesta típica“ traditioneller Prägung, das sich in Repertoire und Stil an Alfredo Gobbi orientierte und bis heute durchklingt. Die Musiker arbeiten eng mit Tangopersönlichkeiten wie Víctor Lavallén zusammen. Insgesamt haben sie 10 Platten herausgebracht, inklusive „Nuevos“ und „Raras partituras 6: Leopoldo Federico & El Arranque“. Als Preisträger können sie u.a. auf den Gardel-Preis, zwei Konex-Preise, einen Clarín-Preis und zwei Nominierungen für den Latin Grammy zurückblicken.


Discographie

  • 2001 Cabulero
  • 2002 Clásicos
  • 2003 En Vivo en la Rete Due de Suiza
  • 2004 Maestros
  • 2005 Buenos Aires. Dias y Noches de Tango: Jueves/Orquesta (En Vivo)
  • 2008 Nuevos
  • 2011 Raras Partituras 6
  • 2015 Tangos
  • 2016 Orquesta El Arranque 20 anos en Cafe Vinilo

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