Trova Tanguera: Im neuen Tangolied geht es um Themen von heute

Cintia Trigo
Cinita Trigo, von La Vagabunda, eine der Gründerinnen von Trova Tanguera. Foto: Bernardino Avila

Trova Tanguera ist ein TexterInnen-KomponistInnen- und InterpretInnen-Kollektiv, das sich das Schaffen und Zirkulieren neuer Tango-Kompositionen auf die Fahne geschrieben hat. Die ersten Impulse kamen von der Sängerin und Autorin Cintia Trigo, der Verlegerin Vanina Steiner, dem Gitarristen Pablo Sensottera und der französischen Filmproduzentin Luz Balaña.


Das Konzept der Gruppe besteht darin, verschiedene KünstlerInnen einzuladen, die noch nie zusammengearbeitet haben und diese bei der Ausarbeitung neuer Themen zu begleiten und zu unterstützen. Die Themen haben meistens soziale und aktuelle Bezüge. Präsentiert werden die Resultate dann von anderen KünstlerInnen oder Bands.

Im vorliegenden Interview beschreibt Cintia Trigo den Entwicklungsprozess des Albums „Viento Sur“. Das Album kann hier gehört werden:



Das Projekt ist über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden. Trova Tanguera hat etwa zwanzig Solisten und Orchester auf dem Album „Viento Sur“ zusammengebracht. Die MacherInnen sehen in der Konkretisierung des Projekts den Schaffenstrieb und den sozialkritischen Geist des Zirkels als Lebensbeweis des zeitgenössischen Tangos erfüllt.

„In fünf Jahren ist viel passiert: der Zeitrahmen der Kompositionen, der Themen-Arrangements, Interpretationen und Beschaffung der Mittel, um alles aufzunehmen – dies inmitten einer Pandemie“, erinnert sich Cintia Trigo, wenn sie die Anfänge der Trova Tanguera und das gemeinsame Projekt von ihr, Vanina Steiner, Luz Balaña und Pablo Sensottera in ihr Gedächtnis ruft. Das kraftvolle Resultat ist tiefgründig und verinnerlicht die Gegenwart.


Viento Sur verfügt über eine Besonderheit, die sich in der Außenwirkung manifestiert – zusammengestellt auf der Basis verschiedener Ansätze unterschiedlicher KomponistInnen, werden die Stücke nicht von den AutorInnen vorgetragen, sondern bewusst von dritten KünstlerInnen interpretiert und aufgenommen. Der größte Teil der Platte entstand in den Studios der Universität von Lanús in Buenos Aires – so wie auch der Süden der Stadt sich zur territorialen und spirituellen Wiege des neuen Tangos entwickelt hat. Als die Pandemie ausbrach, wurde der Rest dann mit viel Improvisation aufgenommen. Inmitten dieser Situation gelang es der Gruppe, ein gemeinsames Thema zu produzieren, das es schließlich auf den Titel der Platte schaffte, mit einem passenden Videoclip als Vorschau. Der erhebliche Einsatz der Akteure legt die Schaffensenergie offen, die diese Tangorichtung charakterisiert. „Viento Sur ist die Synthese unseres kollektiven Schaffens, gedacht und realisiert von uns allen“, erklärt Cintia Trigo, die Sängerin und Komponistin der Band La Vagabunda.

„Mit der Trova haben wir uns einer Bewegung verschrieben, die sich für die Offenlegung sozialer und wirtschaftlicher Konflikte einsetzt,“ sagt sie. „Das erschien uns nicht als favorisierte Richtung, da die Interpretation nostalgischer, philosophischer und liebeszentrierter Lieder populärer zu sein scheint. Wir haben jedoch im Bereich des neuen Tangolieds ein gestiegenes Interesse bei den KollegInnen wahrgenommen, sich der aktuellen Themen anzunehmen“, führt sie aus. „Wir haben das Lied immer auch als ein kraftvolles Instrument des Kampfes wahrgenommen, das in unserer Reichweite lag, um Konflikte sichtbar zu machen und neue Ideologien und Paradigmen vorzuschlagen. Das neue Tangolied verschreibt sich den zeitgenössischen Herausforderungen und verfolgt nicht die Ideologien traditioneller Tangos.“

Während des Schaffensprozesses, erklärt Trigo, entdeckten die MusikerInnen, dass sie ganz ähnliche Sorgen hegten. Das wurde deutlich, als Balaña für den Dreh ihrer Dokumentation der Schaffensphase alle TeilnehmerInnen interviewte: „Viele MusikerInnen waren aktiv tätig in diversen Initiativen und setzten sich vor allem für den Tango als Weltkulturerbe Argentiniens ein, das lebendig ist und der Tradition etwas hinzufügt, unter anderem eine neue Perspektive der Weltsicht und der Konflikte dieses Jahrhunderts.“

Video von Viento Sur- Titelstück des gleichnamigen Albums

Bemerkenswert ist, daß die für die aktuelle Epoche eher unübliche Schaffensmethode charakteristisch war für die ersten Dekaden des Tangos im letzten Jahrhundert und sogar noch im sogenannten Goldenen Zeitalter des Tangos: da wurden Verse geschrieben, jemand anders komponierte die Musik, und ein oder diverse Orchester führten die Musik auf oder interpretierten sie. Im Schaffens- und Darstellungsprozess waren viel mehr Personen beteiligt, so wie derzeit bei der Trova Tanguera. „Es bedeutet, daß wir als Gemeinschaft mehr Druck ausüben, und das nützt uns allen: wenn der neue Tango bekannt wird, ist es einfacher ihn da und dort und im Radio zu spielen, so erfahren die Menschen, die uns noch nicht kennen, daß wir neue Tangolieder machen“, erklärt Cintia Trigo.

Themen sind: Gewalt gegen das andere Geschlecht, Gewalt gegen Frauen, gegen die LGBT-Gemeinschaft, die Stigmatisierung von Rollen, Misshandlung von Personen, Ausbeutung von Kindern, Sklavenarbeit, Xenophobie, Marginalisierung und Kriminalisierung von Armut, Waffenmissbrauch, Medienmissbrauch, Kapitalismus, Gewalt gegen Gebärende, institutionelle Gewalt, Gewalt in der Psychiatrie. Diese unterschiedlich nuancierten Themen erscheinen in den neuen Liedtexten. Manche waren voraussagend, wie z.B. das Lied “Afuera” von Juan Serén, das die ‚Angstmache‘ und Agoraphobie thematisiert, und dies viele Jahre vor der Pandemie. Bezüglich des Themas, welches der Platte ihren Namen gab, spricht Trigo von einem „tanguero-politischen Manifest, „…wo wir ausdrücken was uns interessiert und vereint, und was wir erreichen und aufbauen möchten.“ 

Eine weitere Begebenheit innerhalb dieser fünf Jahre, jedoch speziell während der Pandemie, war die Konsolidierung und Stärkung der Tango-Bewegung. Die Trova Tanguera hat damals eine Versammlung der Tanguero-Gemeinschaften einberufen, die sich danach in der Gesellschaft der Komponisten und Interpreten des Tangos (Asamblea de Creadores e Intérpretes de Tango) organisiert haben. „Wir versuchen, Einigung zu erzielen bezüglich der auftretenden Subsistenz-Probleme und unsere ehrenvollste Aufgabe zu erfüllen, sowie staatliche Unterstützung zu erlangen und Räume für unsere Tätigkeiten. Die Pandemie war fruchtbar in diesem Sinne für uns, für unsere Einigung und Gemeinschaftlichkeit. Diese Auszeit war war erfolgreich, weil wir uns aufstellen, gemeinsam überlegen und finden konnten. Es ist schon einzigartig, daß die gesamte Tango-Community sich organisieren konnte, um dem Staat nachhaltige Vorschläge zu machen und den Tango so als lebendes Weltkulturerbe aufzuwerten, ein Erbe, das Argentinien nutzen und bewahren muss,“ schließt Cintia Trigo.

Quelle:https://www.pagina12.com.ar/358378-trova-tanguera-unio-a-una-veintena-de-solistas-y-orquestas-e

Übersetzung: Dr. Stela Popescu-Böttger

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