Kurze Buchrezension: Heinrich Band. Bandoneon.

Heinrich Band.Bandoneon (Foto: Mercedes Cimadevilla)

2021 stand für die Tangogemeinde ganz im Zentrum von „Piazzolla 100“, dem 100 Geburtstag von Astor Piazzolla. Was aber wäre Piazzolla und der Tango heute ohne das Bandoneon?

2021 war auch ein Jubiläumsjahr für  Heinrich Band, Namensgeber und einer der Entwickler des „Bandonions“. Sein Geburtstag jährte sich zum 200.ten Mal. Für den Tango gab es so gesehen ein Doppeljubiläum: “Piazzolla 100“  und „Band 200“. Ein beeindruckend schönes und gutes Buch holt das Band Jubiläum etwas aus dem Schatten des Piazzolla- Jubiläums.

Die Musikwissenschaftlerin Janine Krüger veröffentlichte 2020 das Werk „Heinrich Band. Bandoneon. Die Reise eines Instruments aus dem niederrheinischen Krefeld in die Welt“, herausgegeben vom Förderverein für das Kulturbüro der Stadt Krefeld. Im 1. Quartal 2022 erscheint es auch in spanischer Sprache im argentinischen Verlag Contemporanea Ediciones.

Heinrich Band, geboren am 04. April 1821 im niederrheinischen Krefeld, Deutschland, gab seiner spezifischen Form der Harmonika 1855 den Namen Bandonion. Band war ein Multitalent: gefragter Musiker – und zwar Cellist -, Musikalienhändler, Arrangeur und  Musiklehrer. Sein wichtigster Beitrag zur Entwicklung des Bandoneons war die Erfindung und Festlegung der „rheinischen Tonlage“ und die frühe Vermarktung des Instruments u.a. mit der Verfassung und Verbreitung von Anleitungen und Arrangements für das Bandoneon. Heinrich Band verstarb bereits mit 39 Jahren am 2. Dezember 1860, bevor sein Instrument den Tango erreichen konnte.

Das Buch enthält viele schöne und instruktive Bilder. Foto hier: Mercedes Cimadevilla

Das Buch ist zunächst einmal einfach schön. Die gesamte Aufmachung ist qualitativ hochwertig, angefangen beim Buchdeckel, dem Papier und den beeindruckenden Fotos  auch von historischen Dokumenten. Ein Schmuckstück für jeden Bandoneon- und Tangofreund, bestens als Geschenk geeignet. Von der Aufmachung her  ein gediegenes „Coffee table book“ zum Blättern, Anschauen, aber auch zum Schmökern und Studieren.

Inhaltlich ist es das beste Buch, welches ich über die Anfänge des Bandoneons und seine Wirkung in der Musikgeschichte gelesen habe. Verständlich geschrieben wird deutlich, dass die Grundlage eine sehr solide musikhistorische Arbeit über die ersten Entwicklungsschritte des Bandonions ist.  Es besticht durch eine sehr fundierte musiksoziologische Perspektive, welche den Beitrag von Heinrich Band aus der Entwicklung der musikalischen und gesellschaftlichen Szenerie der Stadt Krefeld beleuchtet. Beschrieben wird eindrücklich wie Band versuchte, die instrumententechnisch noch sehr eingeschränkte Harmonika so weiterzuentwickeln, dass der aufkommende Mittelstand ein attraktives Instrument an die Hand bekam, mit dem die Volks- und Salonmusik Mitte des 19. Jahrhunderts gespielt werden konnte. Das ist der Kern des Buches.

Darüber hinaus ist es aber auch eine Schatzkiste, weil dem Leser eine Fülle weiterer Einblicke in das Leben mit dem Bandoneon geboten werden:
– die Technik des Bandoneons inkl. Übersichten zur Ausweitung der Tastatur
– eine „kleine Chronologie der Bandoneonentwicklung“
– der Aufschwung des Bandoneons und seine Internationalisierung, der Weg in die Welt und wieder zurück
– die Bedeutung des Bandoneons in der Arbeiterschaft, speziell im Ruhrgebiet, und der Niedergang der überaus zahlreichen Bandoneonvereine in Deutschland
– die Verbindung zwischen argentinischem Tango und Bandoneon
– die Bedeutung des Bandoneons in der Musik Piazzollas
– wie Bandoneonspieler und ihr Bandoneon verschmelzen. Der bekannte Bandoneonspieler und Komponist Osvaldo Montes schrieb: „Das Bandoneon ist ein Teil meines Körpers. Es ist die Verlängerung meiner Hände, es ist meine Seele, mein Herz“ (Seite 174)
–  zahlreiche O-Töne aus der argentinischen Bandoneonwelt, der „Bandoneomania“
– Restauration und Produktion des Bandoneons heute.

Mit dem aufgezeigten Themenspektrum bekommt der Leser ein herausragendes Buch über das Bandoneon von den Anfängen seiner Entwicklung bis hin zur Wirkung heute. Insbesondere die Verbindung aus deutscher Geschichte des Bandoneons und seiner argentinischen Einbürgerung bis heute ist für jeden Tanguero und alle Bandoneonspieler erhellend und berührend.
Es kursiert in Argentinien das Bonmot, dass die Deutschen das Bandoneon zwar erfunden haben,  aber nicht so recht etwas damit anfangen konnten und es deshalb weit wegwarfen…bis an den Rio de la Plata. Deutlich wird durch das Buch, daß das Bandoneon ohne seine triumphale Einbürgerung in die Tangowelt kaum noch existieren würde. In Argentinien wird das Bandoneon inzwischen staatlicherseits als Teil des nationalen Kulturgutes angesehen. Die Ausfuhr wurde per Erlass beschränkt, sodass Touristen z.B. aus Deutschland, kein in Carlsfeld produziertes und dann nach Argentinien ausgeführtes Doble A oder andere Bandoneones aus Argentinien mitnehmen dürfen (S. 197).

Das Werk von Janine Krüger sollte aber nicht missverstanden werden als eine alles umfassende, wissenschaftlich ausgearbeitete Geschichte des Bandoneons. Sie konzentriert sich vor allem auf Band und seine Zeit, so, wie der Titel es auch genau umreißt. Die Fokussierung auf den Menschen und sein Umfeld ist in der Musikwissenschaft methodisch gängig und ergiebig, um über die biographische und lokale Perspektive zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, dass es einige weniger tief beleuchtete Aspekte gibt wie z.B.
– die historisch genaue Weiterentwicklung des Bandoneons mit Blick auf den Tangomarkt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts
– die genauen Beiträge der Produzenten von Harmonikas zu Beginn der stürmischen Marktentwicklung ca. 1850 vor allem aus Sachsen.
Insbesondere der zweite Punkt hat zu Kritik geführt, die mir aber überzeichnet erscheint, denn die Bedeutung der sächsischen Harmonika- und Bandoneonproduzenten wird nicht verschwiegen. Vielmehr wird vor dem Hintergrund ihres Wirkens der eigenständige Beitrag von Heinrich Band herausgearbeitet.

Am besten ist das Buch zu verstehen als Festschrift des Fördervereins für die Kultur der Stadt Krefeld, die das Wirken von Heinrich Band und die Welle, die das Bandoneon ausgelöst hat bis heute beschreibt. Das ist vielfältig, attraktiv und mit einer Fülle von Belegen und dokumentierten Primärquellen herausragend gelungen. Zumindest jeder Bandoneonspieler oder Tangomusiker wird dieses Buch mit Freude und Gewinn lesen.

Das Buch hat über 360 Seiten und kostet z.B. im Kiosk der Tangodanza 29,95 Euro (https://www.tangodanza.de/Buecher_Janine-Krueger-Heinrich-Band-Bandoneon–1557.html)

Ein weiterführendes Interview mit Janine Krüger, der Autorin des Buches, findet Ihr hier:https://tango21.info/200-jahre-heinrich-band-das-bandoneon-wurde-fuer-populaere-musik-entwickelt/

Keine Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Die mobile Version verlassen