Die modernisierte Tango Weltmeisterschaft BA 2023

Foto: Claudia Goris


Wir blicken zurück auf das Festival und die Weltmeisterschaft 2023 in Buenos Aires. Die Tänzerin Natacha Poberaj führte zum dritten Mal durch das Event, wodurch gemeinsame Linien bei den genannten Events erkennbar wurden. Das erste Gefühl, das einen unwillkürlich überkommt, ist daß das Festival-Programm sich redlich bemüht, Fehler und Unzulänglichkeiten – die vorher und historisch allgemein beklagt wurden – gerade zu richten und auszubügeln. Im Tanzwettbewerb selbst ist ein Generationenwechsel sichtbar geworden, es sind nun jüngere Teilnehmer, die den höchsten Preis anstreben.

Im Vorhinein ist zu bemerken, daß Natacha Poberaj von Beginn an neue Aktionslinien vorbereitet hatte: die wichtigsten sind zum einen, daß sie die Tangoverbände alle an einen Tisch gesetzt hat –von den OrganisatorInnen von Milongas bis hin zu den MusikerInnen, ChoreographInnen und TänzerInnen – und zum anderen, die Anerkennung und Würdigung jener Tanz-Compagnien, die dem Genre in den 80er und 90er Jahren wieder zu neuem Glanz verholfen haben, unter besonderer Erwähnung von María Nieves.

Das unmittelbare Resultat dieser Politik ist ein bedeutender Anstieg der Tango-Bühnenshows sowie auch der Inklusion Einiger, die eine Ästhetik „for Export“ entwickelt haben – die für gewöhnlich von den lokalen Kulturbewahrern des Tangos eher argwöhnisch betrachtet werden.

Ballet Tango - Tango BA 2023

Neue Musik weht durchs Festival

Paradoxerweise – da der Tango „for Export“ und der zeitgenössische Tango in gewisser Spannung zueinander leben – gelang Natacha Poberaj eine Ausweitung der Vorstellung neuer Tangos und Komponisten in ihrem Programm. Tatsächlich schaffte es seit Jahren zum ersten Mal eine Band wie Amores Tangos, die eine weniger traditionelle Ästhetik verfolgt, in das finale Programm der Weltmeisterschaft.

Das Besondere an diesem zweigleisigen Angang ist, dass kaum jemand aus der Branche wirklich alle Namen kennt. Es ist fast unmöglich alle Tangos und alle Events in Argentinien zu erfassen. Musikalisch hat jedoch der zeitgenössische Tango in diesem Event – im Vergleich zu allen vorherigen – einen befriedigende Relevanz erreicht. Tanghetto, zum Beispiel, durfte sich als Pionier der neuen Generation feiern lassen. Die „vieja guardia“ – die alte Garde des Tangos – hat gleichzeitig etwas an Gewicht verloren. Zwar hatten Amelita Baltar, Pepe Colángelo und Raúl Lavié in dem Finale ihre großen Momente, es waren jedoch kurze Durchgänge.

Die Hommage an Horacio Ferrer fiel weitaus kürzer aus als vergleichbare Ehrungen in früheren Events. Es gab viele neue Komponisten, wie Diego Baiardi oder die Jungs von Siniestra. Auch der Electrotango hat Raum gegriffen: mit der 20-Jahresfeier von Tanghetto, den Shows von Otros Aires, San Telmo Lounge und anderen. Es fehlten aber auch nicht die traditionelleren Bands, wie z.B. das im Stil von Pugliese musizierende OT San Osvaldo.

Jedenfalls waren in großer Mehrheit solche Musiker und Orchester im Programm dieser Edition, die sich auch aktuell in ständiger Aktivität und auf den Bühnen befinden.

Das führt zu der Frage, was das Festival sonst noch an Neuerungen zu bieten hat. Seine traditionellen Milongas hat es jedoch weiterhin dem Kreis des AOM und MiSeSo „überlassen“: die haben dieses Jahr im Programm kleine TänzerInnnen-Gruppen oder Tanzvorstellungen der GewinnerInnen regionaler Vorauswahlen vorgestellt.

Nicht so glänzend war die Auswahl an Workshops. Es waren weniger ästhetische Richtungen als sonst vertreten und so gut wie keine Genre-Perspektive in der Didaktik zu sehen. Dafür gab es Einiges an „Technik“ und „Erhalt der Tradition“, wie zum Beispiel die Verhaltensanleitungen für Milongas von Julio Dupláa, Unterricht in „Figuren“ und ähnliches.

Der Tanz bleibt konventionell

Die Weltmeisterschaft bietet neue Gesichter auf. Viele bekannte PreisträgerInnen, die sonst in Buenos Aires und international etliche Lorbeeren gesammelt haben, sind von der Bühne abgetreten. Die diesjährigen Gewinner in der Kategorie Tango Pista, Suyai Quiroga und Johnny Carvajal, liessen Carlos Estigarribia und seine Partnerin um Hundertstel auf dem zweiten Platz des seit Jahren angestrebten Siegerpodests zurück. Andererseits blieben Gewinnerpaare wie Victoria Olivella und Agustín Rojas diesmal weit abgeschlagen zurück.

Das dürfte sie jedoch nur am Rande berühren, da sie international sehr fest im Sattel sitzen. Inzwischen zieht eine ganze junge Generation nach, die danach strebt, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.

Die Halbfinale erweisen sich als starker Filter. Selbst jene, die in exzellenter Klassifikation in Buenos Aires aufgestiegen waren, können scheitern und fallen auch zumeist heraus, wenn die Gewinner regionaler argentinischer und internationaler Vorausscheidungen antreten. Dadurch entsteht ein hohes Risiko betreffend die Zugänglichkeit für jene, die Zugang zu internationalen Ausscheidungen suchen – finanziell oder über die geographische Nähe, auch bezüglich der oft teuren Lehrer, was jene Talente benachteiligt, die es sich nicht leisten können. Wenn die Wirtschaftskrise sich weiter verschlimmert, wird sich das gleichfalls auf die örtliche Tangokultur auswirken.

Die Wettbewebskategorie Bühnentango (Tango Escenario) glänzte nicht. Das Gewinnerpaar Julián Sánchez und Bruna Estellita konnte großes technisches Können vorweisen, jedoch bar jeder innovativer Konzeptionen – eine Tendenz, die sich auch in der Jury wiederfindet. Diese Kategorie zeigt keine Frische mehr, und die Weltmeisterschaft bleibt diese Anforderungen hier noch schuldig.

Es ist schwierig Vorhersagen für kommende Editionen zu machen, insbesondere in dem für Argentinien schwierigen Wahljahr. Obgleich in Buenos Aires eine gewisse Kontinuität erwartbar ist, durch die starke und wahrscheinlich bleibende regierenden Partei PRO, auf nationaler Ebene herrscht jedoch große Unsicherheit. Alle schauen auf den Wahlmonat Dezember. Währenddessen geht in Buenos Aires der Tango weiter – wie jede Nacht.

(Übersetzung und Adaption: Dr. Stela Popescu Böttger
Originaltext von Andres Valenzuela: https://tango21.info/balance-tango-ba-2023/?lang=es)

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