„Das Jahr 2020 ist ein verrücktes Jahr gewesen“, sagte uns Vito Venturino, Kopf des El Cachivache OЯkesta Anfang 2021. „Die Tourneen fielen aus, und deshalb hatten wir viel mehr Zeit, neue Musik zu komponieren, zu arrangieren und aufzunehmen. Aber das muss alles organisiert werden und wir wollen auch unseren Fans trotz Auftrittsverboten nahe bleiben. Deshalb sind wir auch in das Streaming eingestiegen und haben viel Wert auf interessante Videos gelegt. Wir haben viel gearbeitet, um in diesem Jahr klarzukommen.“
Dem entsprechend hat Cachivache 2020 gleich drei Alben herausgebracht: (1) „Live in Europe“ mit einigen ihrer bekannten Stücke, die bei Live-Konzerten in Europa aufgezeichnet wurden, (2) „Anticuerpos“, eine Reise in den Elektrotango und (3) „Tiempos Extraños“, welches größtenteils neue Stücke im bekannten, aber etwas softeren Sound von Cachivache darbietet. „Anfang 2021 werden wir noch ein Album herausbringen, diesmal traditionelle Tangos, zu denen wir auch Sänger eingeladen haben“, so berichtet Vito von einem weiteren, fast fertigen Projekt.
In der pandemischen Zeit, in denen Live-Auftritte kaum zugelassen wurden, hat El Cachivache seine musikalische Bandbreite deutlich vergrößert. Ein fester Bestandteil sind weiterhin die schnell gespielten, fast rockig arrangierten Klassiker des Tangos wie z.B. „Comme Il Faut“ und viele Eigenkompositionen, die bisher vorwiegend mit einer fetzigen Rock-Ästhetik daherkommen. Mit diesem Stil hat Cachivache das selbst gegebene Image als Tango-Punker ausgefüllt. Musikalisch betrachtet, hat dieser Tango-Punk aber nichts mit dem minimalistischen und oft übersteuerten 3-Akkorde-Punkrock der 70er und 80er Jahre zu tun. Auch fehlen bei Cachivache die agressiven, oft kritischen Texte. Cachivaches Tango Punk setzt als Stilmittel auf Tempo und einen rockigen Sound, in dem die Elektrogitarre eine viel stärkere Rolle spielt als im Tango üblich, und auch die anderen Instrumente sehr perkussiv gespielt werden. Auf den Milongas der Welt ist dieser Sound sehr gut angekommen, sodass El Cachivache zu den beliebtesten Gruppen für Milongas mit Livemusik zählt.
Anticuerpos
Die neue CD „Anticuerpos“ erweitert die bisherige Stilistik von Cachivache zu einer interessanten Reise in den Elektrotango. Diese Reise dauert 32 Minuten und präsentiert 10 Songs – davon 5 Eigenkompositionen. Das altehrwürdige „Comme Il Faut“ von Arolas wird zu einem Stück, welches auch in einem elektromusikalisch geprägten DanceClub gespielt werden kann, und die Modernität von Piazzollas „Cité“ wird hier hervorragend zelebriert und leichter tanzbar gemacht. „Wir wollten schon seit Jahren mal ein Elektrotango-Album machen“, sagte Vito, „in der Pandemie hatten wir endlich die Zeit dazu.“ Sicher war auch förderlich, dass der neue Pianist Achi Deuz Erfahrung mit elektronischer Musik hat, und zwar sowohl als Musiker wie auch als DJ und Produzent. Achi Deuz ersetzte 2019 das Gründungsmitglied Pablo Montanelli, der die Gruppe verließ und nun in Frankreich lebt.
„Anticuerpos“ hat noch weitere Experimente zu bieten: (1) Cachivache hat seit langem wieder Musik und Text kombiniert. Für das Stück „Como la gente“ (Musik A. Deuz/Text Super J) wurde dabei nicht ein typischer Tangosänger oder eine Sängerin eingeladen, sondern der argentinische Rapper Super J, der sich um die Fusion von Rap und Tango bemüht. El Cachivache mit dem Punker-Image schlägt hier einmal mehr eine Brücke zur Jugendkultur. Andererseits greift die Band im gleichen Album auf einen alten Softrock-Hit zurück: „Everybody hurts“ von REM aus dem Jahre 1992. Die Brücke zum Tango ist hier vor allem das „singende“ Bandoneon, welches in weiten Teilen den Gesangspart übernimmt. Ob diese Spezialexperimente weiter ausgelotet werden, bleibt abzuwarten. Richtig gezündet haben sie bei mir erstmal nicht. Dagegen wirkt die Verbindung zum Elektrotango insgesamt durchaus gelungen. Generell sind die 10 Tracks von „Anticuerpos“ gut tanzbar.
Tiempos Extraños
„Tiempos Extraños“, das zweite Album mit neu aufgenommenen Stücken, hat 9 Tracks – 4 davon Eigenkompositionen – und eine Länge von insgesamt 28 Minuten. Der Titel des Albums spielt auf die „merkwürdigen“ Zeiten der Covid19 – Pandemie an, spiegelt dies jedoch nicht offensichtlich in der Auswahl der Stücke wider. Allerdings sind die Arrangements mit weniger Drive und Härte als in früheren Cachivache Alben. Insofern werden weniger die wütenden Gemüter in der Pandemie bedient als vielmehr die Wärme suchenden Fans. Es befinden sich sehr ruhige Stücke auf der CD wie z.B. „La noche que te fuiste“ (Maderna/Contursi) oder das herrlich romantische „Rosario“, eine Komposition des Bassisten Pacho Mendes. Da fehlen nur noch ein typischer Tangotenor und Schummerlicht, um Cachivache als Punker zu exkommunizieren. Auch diese CD ist durchgängig gut tanzbar.
Die Tanzbarkeit ist für El Cachivache schon lange wichtig. Vito: „Wir haben vor etwa 10 Jahren angefangen zu tanzen, und seitdem verstehen wir die Tänzer noch besser. Bei unseren Live-Auftritten kommt in den Milongas sehr viel mehr Emotion zu uns rüber als bei Konzerten ohne Tanz. Wir lieben das.“
Cachivache unterstreicht die Tanzbarkeit ihrer Musik auch in den Videos, mit denen sie ihre Musik vorstellen. So wird visuell offensiv dargestellt, dass die Musik zum Tanzen einlädt. Auch dabei wird in der Regel nicht auf traditionell ausgestattete Tanzpaare in Anzug und Tangokleid zurückgegriffen, sondern oft auf Tänzer mit alltäglicherer Bekleidung und Tanzstilen, die über den Milonguerostil hinausgehen und neue Ufer zeigen. Überragend sinnlich und eher für die eigene Wohnung: der Tanz von Hugo Mastrolorenzo und Agustina Gómez im Video zu Cachivaches Version von „Buscándote“.
Cachivache versteht es, wie wenig andere Tangogruppen, sich modern zu inszenieren. Auch die Locations der Videodrehs greifen oft Widersprüche und Brüche auf, sodass die gesamte Ästhetik von Cachivache die Sehnsucht nach Auf- und Umbruch widerspiegelt. Gleichzeitig greifen sie oft ohne große Verfremdung immer wieder traditionelle Musikstücke auf, die ewig schon gespielt werden und auch deshalb in den Milongas mit Hingabe getanzt werden. So gesehen baut das El Cachivache OЯkesta Brücken vom Gestern ins Morgen. Brücken werden gebraucht, um weiterzukommen und viele Menschen mitzunehmen.
Helfen über Gofundme
Unter den herrschenden Pandemiebedingungen sind die Künstler auf die Hilfe ihrer Fans angewiesen. Kauft die CDs, bucht kostenpflichtige Streamingkonzerte oder unterstützt El Cachivache hier:https://gofund.me/112191fd
Anticuerpos Video Tanda:
# Tokyo (A.DeVita) https://www.youtube.com/watch?v=s_AkVv4uR-s
# Cite Tango (A.Piazzolla) https://www.youtube.com/watch?v=fKw8FIueoDU
# Como la gente (A.Deuz/SuperJ) https://www.youtube.com/watch?v=FMp0VymQgkI
# Buscandote (L.Scalise) https://www.youtube.com/watch?v=Mk8-WI_wlxM
Anticuerpos Audio Tanda (z.B. Spotify):
# Comme Il Faut (E.Arolas)
# Cite Tango (A.Piazzolla)
# Tokyo (A.DeVita)
# Everybody Hurts (REM)
Tanda Tiempos Extraños (z.B.Spotify)
+ Gloria (H.Canaro/A.Tagini)
+ La Maraña (A.DeVita)
+ Rosario (P.Mendes)
+ La Noche Que Te Fuiste (O.Maderna/J.M.Contursi)
Das El Cachivache OЯkesta besteht aus:
Adriano De Vita, Bandoneon (seit 2017)
Achi Deuz, Piano (seit 2019)
Pacha Mendes, Bass (seit 2014)
Vito Venturino, Gitarre (seit 2008, Gründungsmitglied).