Das Stück Vuelve El Tango von La Guardia Hereje wirkt wie eine Abrechnung und wie ein Aufruf. Vor allem sein Text, drückt das Gefühl einer aufkommenden Generation von Musikern aus, die den Tango erstarrt empfanden, eine Kunstform, nur noch für den Export. Es gab Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts keine neuen Tangos, die die Realität des alltäglichen Lebens reflektierten. Die Tangomusiker wiederholten immer wieder die Hits der alten und neuen Garde, der Epoca d`Oro. Der Tango als populäre Musik der Bevölkerung am Rio de la Plata verlor an Bedeutung. Als Ausdrucksmittel junger Musiker war er in seiner traditionellen Form nicht mehr geeignet.
La Guardia Hereje mit ihrem Sänger, Texter und Komponisten „Alorsa“ Jorge Marcelo Pandelucos gab diesem Gefühl mit dem Stück Vuelve El Tango perfekten Ausdruck. Alorsa schrieb Texte, die sich mit dem Alltag beschäftigten, mit dem Barrio, Karneval, Liebe, Fussball.
Seine Stücke setzen sich mit der aktuellen Lebensrealität auseinander, die Musik steht in der Tradition der Guardia Vieja, einfache Instrumentierung mit Gitarren.
Aber La Guardia Hereje setzten sich von der Tradition auch ab. Das zeigte schon das Logo, ein Totenkopf mit Gardelhut und statt der gekreuzten Knochen zwei gekreuzte Gitarren. Die Garde der Ketzer (el hereje = der Ketzer) spielte nicht nur mit aktuellen Texten, sondern auch mit einem Perkussionisten. So erwachte der Tango wieder als zeitgemäße Musik in der Tradition, aber über sie hinausgehend. Denn der Tango hatte nur ein Schläfchen gehalten, eine Siesta, so Alorsa in der Schlußsequenz von Vuelve el Tango. Hier die Übersetzung des Textes von Stela Popescu-Böttger.
Der Tango kehrt zurück
von Jorge Pandelucos (a.k.a. Alorsa)
Aus dem Kaffeesatz hat mir eine Zigeunerin gelesen,
der Tango kehrt zurück
Ein Krankenwagen schaltet die Pizzasirenen ein,
und die Ampelakrobaten beeilen sich bei Grün, ihren Lohn zu ergattern.
Ein Paar schwört sich am Handy zwei Stunden Betrug in irgendeinem Stundenhotel
Und allein in seinem Zimmer sucht einer in der Zeitung den Schwuchtel-Service…
Der Tango kehrt zurück
Soll er doch, ist doch sein Zuhause
Willkommen bei Mate und Spatzen,
Willkommen bei Wein und Fiesta
Auf seine erste Liebe, die Milonga!
Nach seiner ersten Liebe, der Gitarre.
Von eingebildeten Tenören eingemottet
Eingesperrt in wiederholten Museen,
Voller Spinnweb, die Schatten von Versionen
Die wollten sich retten, mit Carlitos, mit El Gordo, mit dem Tano
Mit Hörnern aufgesetzt bis zur Langeweile, exportiert, die Pässe voller Stempel
Zertrampelt von Athleten, die zu viel sprangen
Ihm, verflucht geboren und entbunden in den Krippen der Puffs und Patios
Gekreuzigt in der Wiederauferstehung der cumparsitas
Meine Herren, der Tango kehrt zurück,
weich wie Mozzarella und ohne Lärm
Fordert er erneut, was ihm gehört
Bei vollster Jugend seiner 100 Jahre,
Geschniegelt und in Sneakers
Ohne Hut, um sich nicht zu blamieren
Ohne Gel in den Haaren und ohne den Schmuck von verrostetem Rotwelsch
Die Chips vom Revers geblasen, kam er mit dem Bus
Begleitet von Musikern, die Mützen herumgehen lassen,
Dem Chor von Zeitungsverkäufern und Jungs
Den kleinen Diebinnen und Gaunern von Autoteilen
Wer hat gesagt, er wäre aus den Kiezen verschwunden,
Wann? … weiter, weiter! … und der Ball bleibt unbefleckt
Der Tango kehrt zurück, lass doch die Eunuchen meckern!
Aus dem Kaffeesatz hat mir eine Zigeunerin gelesen,
der Tango kehrt zurück
Ausgebüxt ist er aus verworrenen Partituren
Die ihn nicht kannten, haben ihn verlangt
Irgendwer hat ihn totgesagt, irgendwer,
Welch Unsinn, Siesta war es nur, die er schlief.
Übersetzung Stela Popescu-Böttger 2020
Der spanische Originaltext ist auf dieser Webseite hier:
https://tango21.info/el-manifesto-poetico-vuelve-el-tago/?lang=es
Hommage
Zum zehnten Todestag haben Freunde, Kollegen und Bewunderer von Alorsa ein gemeinsames Video aufgenommen, Vuelve El Tango deklamiert und gezeigt, dass Alorsa nicht gegangen ist. Sein Vermächtnis lebt.