In Argentinien gibt es ein Sprichwort: „Jeder Meister mit seinem Büchlein“. Das bedeutet vor allem, daß jeder das tut, was ihm aufgrund seiner Erfahrung oder Meinung richtig erscheint. Jeder DJ hat sein „Büchlein“. Das hier ist meines. Es ist nicht das einzige, ich habe jedoch herausgefunden, daß es mir dient, um meine Tandas auf jedweder Milonga vorzustellen.
Dort, wo ich für gewöhnlich auflege, ist es insgesamt einfacher Musik abzuspielen, da das Publikum habitué ist und ein Ohr für den Klang entwickelt hat. Wenn ich jedoch woandershin eingeladen werde, bemühe ich mich um einen ‚konservativeren‘ Auftritt. Das heißt, daß ich keine ‚extremen’ Tandas aus meinem Repertoire abspiele, keinen Non-Tango, World-Music oder Ähnliches. Das mache ich nur auf mir bekanntem Terrain, da es sonst andere fernhalten könnte.
Stattdessen baue ich um den Kern meines Sets in dieser Nacht Orchester und Bands, die bekannt sind, wie z.B. die Orchester Misteriosa Buenos Aires, Romántica Milonguera, Cachivache, La Andariega, Cucuza Castiello oder das Sexteto Fantasma. Passend zur Örtlichkeit könnten es auch die Orchester El Arranque, Mala Pinta, La Martino oder Tango Spleen sein. Sehr disruptive Klänge hebe ich mir lieber für das Ende des Abends auf. Mit ein bißchen Glück akzeptieren die TänzerInnen dann auch avantgardistische Angebote. Ohne es zu weit zu treiben, lässt sich dann Otros Aires, Tangorra, Julieta Laso, La Chicana oder Bife abspielen, um Einige zu nennen. Wenn man die gleich zu Anfang abspielen würde, wäre das ein bisschen schockierend.
Beim Aufbau der Tandas gehe ich so vor, daß ich die immer auch selbst tanzen könnte. Ich bin kein großartiger Tänzer, obgleich ich seit 10 Jahren tanze. Ich kann zwar ein bißchen was, würde es aber noch nicht einmal in die Vorauswahl einer Weltmeisterschaft schaffen. Das heißt angesichts von Reklamationen: wenn ein Tölpel wie ich das tanzen kann, kann das jeder. Meine Strategie ist daher: die Tandas sind auch tanzbar.
Es gibt so ein ungeschriebenes Gesetz, daß der DJ nicht tanzt. Mehr als ein Gesetz war das eine natürliche Gegebenheit aus jener Zeit, wo Schallplatten umgedreht oder gewechselt werden mussten. Die neuen Technologien erlauben es jedoch, mehrere Tandas im Voraus zu programmieren – bitteschön in wohl bewährten Sequenzen – wobei man dann auch gleich live zeigen kann, daß diese Tandas sich tatsächlich tanzen lassen!
Eine Tanzfläche funktioniert mitunter nach dem Schneeballprinzip: nach dem ersten Paar, folgen gleich weitere. Wenn unter diesen ersten Paaren auch angesehene TänzerInnnen sind – jede Milonga hat so die ihren – dann läuft alles auf gutem Wege.
Eine weitere Strategie, die ich gerne pflege, ist das Auslassen der Cortinas. Das ist nicht unbedingt etwas Neues. Viele Milongas machen das aus ganz unterschiedlichen Gründen. In meinem Fall denke ich, daß es den Milongeros und Milongueras erlaubt, jederzeit die Tanzfläche zu betreten und auch wieder zu verlassen. Das nimmt ihnen die Angst vor unbekannten Tangos! So können sie ein Thema tanzen, das ihnen gefällt und sich auch wieder hinsetzen, wenn sie sich nicht ganz wohl damit fühlen, ohne daß der oder die PartnerIn dann die ganze Tanda durchhalten müsste, wie es nach altem Tandabrauch sonst war. Andererseits können sie so auch 6, 8 oder 12 Lieder mit dem- oder derselben PartnerIn durchtanzen, wenn ihnen das gefällt.
An dritter Stelle versuche ich die Tanda-Blocks in stilistische oder thematische Themenbereiche zu gruppieren. Vom Tango Bardo zu La Vidú zu springen wäre wohl ein Soundschock, der sich noch verstärken würde, spielte man danach Marisa Vázquez‘ zweite Platte ab – ja, diesen Fehler habe ich schon einmal begangen und daraus gelernt. Auch ist es sinnvoll, mehrere Stilrichtungen der Bands zu identifizieren und beizubehalten. Es gibt zum Beispiel Orchester mit Rockeinschlag, wie La Vidú, Los Crayones, Alto Bondi, Orquesta Utópica, Astillero oder Quinteto Negro La Boca, die alle sehr gut zusammen funktionieren; so wie auch eine kleine Sequenz von Gitarrentangos, wie wir sie bei Tape Rubín, Púlice-De Vicenzo und dem Tata Cedrón vorfinden und so dem Block eine gewisse Konsistenz verleihen können.
Letztendlich ist auch die herumgehende Information ganz wichtig. Die traditionellen Tangos haben sich nicht nur durchgesetzt, weil sie über Jahrzehnte „erprobt“ waren, sondern auch, weil sie einfach auf allen Tanzflächen gespielt wurden. Es bringt also nichts, sich mit seinen Tandas „einzuigeln“. Sie müssen in Umlauf gebracht und veröffentlicht werden, zum Beispiel auf den Playlisten von Spotify, wie wir das mit der Milonga Cañón machen: https://open.spotify.com/playlist/2SzZMUefFnQGhnsEtmI3YP . Das ermöglicht anderen DJs oder DJanes sich das anzuhören und so oder anders aufzugreifen, damit die Leute diese Musik auch auf anderen Milongas tanzen können. Das ist ein Gewinn für alle, es bringt den TänzerInnen, Milongueros und Milongueras musikalische Vielfalt, DJs und Janes, können so ihr Wissen erweitern und es hilft jenen, die die ersten Versionen dieser Tandas geschaffen haben. Wenn jemand auf Deine Milonga kommt und einen Teil Deiner Musik schon woanders gehört hat, wird er leichter darauf eingehen können. Und so zieht es Kreise auf der Tanzfläche.